Nix mit Stillleben
Turn the P/Age in den Sophiensæle Berlin
Von Theresa Schütz
Gemeinsam mit den Choreografinnen Laurie Young, Lisa Densem, Autorin Rhyannon Styles und Performerin Claudia Splitt begibt sich Eva Meyer-Keller auf die Suche nach kreativen Bildern für hormonelle Prozesse menopausierender Frauen, gerade da wo wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen oder bewusst vergessen wurden. "Turn the P/Age" ist in der neuen Produktion von Eva Meyer-Keller in mehrfacher Hinsicht Programm: Die Wendung "turn the page" verweist darauf, ein neues Kapitel aufzuschlagen – und ein solches hat für Meyer-Keller mit dieser kollaborativen Arbeit begonnen.
Nach ihrer beeindruckenden Trilogie zu naturwissenschaftlichen Modellen ("Some Significance", 2017), Definitionen des Lebendigen ("Living Matters", 2019) und der Kommunikation von Nervenzellen ("Out of Mind", 2023), allesamt szenische Forschungen zur Visualisierung schwer fassbarer Phänomene, beschäftigt sich "Turn the P/Age" in neuer personeller Konstellation nun mit dem Komplex des Älterwerdens, der Menopause sowie hormonellen Transformationen bei cis und trans Frauen. Die Arbeit reiht sich damit nicht nur in die aktuell insbesondere in der Literatur verhandelte Würdigung der Frau in und nach der Lebensmitte ein, sondern weist auch auf ein neues Zeitalter, das praktisches Wissen von Frauen über ihre Körper ernstnimmt, wertschätzt und in Bilder und Geschichten (zurück-)holt.
Aufwertung der Menopause
Dafür versammelt sich das Publikum im Festsaal der Sophiensæle auf Tribünen um eine theatrale Versuchsanordnung, die fünf Podeste, zwei mit allerlei kosmetischen und medizinischen Utensilien bestückte Tische, Kameras sowie eine raumteilende Stoffprojektionsfläche umfasst. Eva Meyer-Keller, Lisa Densem, Rhyannon Styles und Claudia Splitt betreten das Arrangement in zügigem Schritt; allesamt halten sie die Arme vorm Oberkörper, die Handflächen präsentierend, wie man es von Ärztinnen kennt, bevor sie sich im OP an ihr Werk machen. Anstelle weißer Ärztekittel tragen sie die türkisfarbenden Patientinnenpendants, die allerdings kunstvoll umdesigned wurden und mit ihren feschen Schlaufen, Schleifen und Scherpen eher Gewandcharakter haben.
Damit ist die queer-feministische Marschrichtung vorgegeben: raus aus der patriarchal dominierten und kapitalistisch orientierten Gesundheitsmaschinerie. Denn sie trägt – wie Sharon Blackie in ihrem Buch "Hagitude" pointiert – maßgeblich dazu bei, dass die Menopause diskreditiert werde, als "a disability, a dysfunction in need for medication, a set of 'symptoms' – rather than being imagined as a natural and necessary entry point into the next stage of life". Hin also zum kollektiven Anerkennen der Menopause als natürlichen Vorgang beständiger Veränderung und der Feier sich transformierender diverser Körper. Hierfür schöpfen die Beteiligten aus persönlichen Erfahrungen und Recherchen, die in Gestalt auditiver Gesprächsschnipsel Einzug erhalten.
Experimente mit Fruchtsäften
Darüber hinaus schließt Meyer-Keller formal an ihre Vorgänger-Produktionen an, insofern sich die Performenden einer Reihe von Live-Experimenten zuwenden, mittels derer abstraktes oder unerforschtes Wissen (wie zur Gebärmutter) anhand von Alltagsdingen inszeniert wird. Im Mittelpunkt stehen: Galiamelone, Tomaten und Radicchio sowie eine den Bühnenraum einkreisende Schlauch-Pump-Apparatur, die das Absaugverfahren bei Abtreibungen mittels Säften reenacted. Den Früchten werden Fleisch oder Kerne entnommen, auch werden sie sanft entblättert oder jäh zerquetscht. Letzterer Vorgang weckt Erinnerungen an Meyer-Kellers "Death is Certain" (2002), wo Erdbeeren in mannigfaltiger Weise eliminiert wurden.
Barocke Pracht
Was während der Experimente ins Auge fällt, ist die besondere Inszenierung nicht nur der Früchte, sondern auch der Hände der Performenden, wie sie in der Videoprojektion oberhalb des Laborgeschehens in Erscheinung tritt. Die Bildkompositionen erinnern an barocke Stillleben. Die kulturell weiblich konnotierte Frucht als Symbol für Lebensfülle und Fruchtbarkeit, die im Stillleben bezeichnenderweise ausschließlich im Moment vollster Pracht buchstäblich visuell still gestellt wird, um Vergänglichkeit anzumahnen, wird in der Bildproduktion von "Turn the P/Age" wieder in Bewegung versetzt. Sie wird ferner aus dem konventionellen häuslichen Küchenarrangement befreit, und in ein Licht gerückt, das sie – wie im Fall der Galiamelone – wie ein eigener Planet im Universum aussehen lässt. Assoziationen zu indigenen Kosmologien kommen auf, in denen Früchte eher mit Heilung und Spiritualität verbunden und gerade gealterte Frauen für ihre Weisheit und Erfahrung geehrt werden.
In Meyer-Kellers Material-Anordnungen wird damit auch das Bild weiblicher Fruchtbarkeit, das ausschließlich an Fortpflanzung geknüpft und mitursächlich für das "Schweigen" menopausierender und alternder Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung ist, neu besetzt. Denn in "Turn the P/Age" zelebrieren vier Frauen gemeinsames Handanlegen, das darin besteht, hormonelle Veränderungsprozesse, die sie gerade selbst durchlaufen, im sorgevollen Miteinander für sich und andere materiell be-greifbar zu machen. Ein kluger, zugänglicher, sinnlich-lustvoller und zutiefst bereichernder Abend ist daraus entstanden, bei dem sich still das Frausein genießen lässt.