Kirschentod und Politik. Symposium über Diskursgesetze und Institution, bsz (Bochumer Stadt- und Studierenden-Zeitung) # 662, 2005
von Alexander Kerlin
Das Symposium “Politik der Vorstellung” lädt TheoretikerInnen und PerformerInnen vom zweiten bis vierten Juni zum Nachdenken über Theater, Theorie und Politik ein.
Eine Exekution nach Plan: Die Frau mit rot befleckter Schürze führt sie mit unbeteiligter Mine aus: Erhängt, ertränkt, durchbohrt, erschlagen oder mit Stromstößen malträtiert - das Ende der kleinen Opfer kennt viele Variationen. Gewalttätig ist es in jedem Fall. Das vorletzte isst die Henkerin auf, das letzte landet im Massengrab bei seinesgleichen: bei eingelegten Kirschen. “Death is certain” lautet der Titel dieser 30-minütigen Performance, und nur der Witz der Darstellung macht den Blick auf die alltägliche Folter für kurze Zeit erträglich.
Die junge Berlinerin Eva Meyer-Keller nimmt mit diesem Gastspiel teil an einer internationalen Veranstaltung, zu der das Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Uni zusammen mit dem Siemens Arts Program und dem Bochumer Schauspielhaus Theoretiker und Performer vom 2. bis 4. Juni ins Schauspielhaus einlädt, um darüber nachzudenken, wie das eigene Tun heute politisch werden kann. Dabei soll vor allem die Politik der eigenen Darstellung und Wahrnehmung in den Blick kommen. Jene Politik, die durch die eigene Institution, ihre Regeln, Verträge, Diskursgesetze und Techniken unmittelbar gegeben wird - die “Politik der Vorstellung”.
Sich der Macht der Medien widersetzen
Um sie geht es nicht zuletzt auch in Quizoola, einer sechs Stunden dauernden Live-Performance der britischen Gruppe “Forced Entertainment”. Sie ist in diesem Rahmen zum ersten Mal in Bochum zu sehen. Zwei als Clowns geschminkte Spieler bombardieren einander in einer Kulisse aus rot-gelbem Sackleinen mit Fragen. Ein 200 Fragen umfassender Katalog, die Fantasien der PerformerInnen und die Situation liefern das Material für wechselnde Themen. Mit Hilfe einer verständlichen Regel werden unvorhersehbare Effekte erzeugt, die gleichsam körperlich, als Affekt oder motorische Intervention in das geregelte Spiel hineinspielen. Zu dem, was die britischen PerformerInnen meisterlich beherrschen, gehört die Kunst, in der Vorstellung das eigene Medium, die im Aufführen selbst gegebene Handlung, hervortreten zu lassen.
Wie mit dem eigenen Medium umzugehen ist, wie man sich der Macht der Medien widersetzt und was darunter überhaupt zu verstehen ist, wird auch die eingeladenen WissenschaftlerInnen beschäftigen, so etwa die Agamben-Schülerin Milena Massalongo aus Verona oder den Alexander Kluge-Spezialisten Rainer Stollmann (Bremen). Analyse und viel Stoff für die Diskussion darf man sich von den Beiträgen des Literaturtheoretikers und Philosophen Werner Hamacher (Frankfurt/New York/Baltimore), des Adorno-Schülers Al Goergen aus Mailand und der Expertin für deutsch-jüdische und feministische Literatur Barbara Hahn aus Nashville versprechen.
Neben den auswärtigen Gästen sind auch ExpertInnen aus Bochum mit von der Partie, so der Medienwissenschaftler Manfred Schneider, die Theater-wissenschaftlerInnen Ulrike Haß und Nikolaus Müller-Schöll sowie der Chefdramaturg und designierte Salzburger Schauspielchef Thomas Oberender.