Download PDF Version


Tools in movement: Eva Meyer-Keller on perception and choreography | Fanzine of PULLING STRINGS from Kunstenfestivaldesarts 2013

von Susanne Traub, Jochen Kiefer

In Pulling Strings tanzen Alltagsgegenstände, Scheinwerfer, Mikrofone oder Feuerlöscher an Schnüren, Seilen, Fäden. Trotzdem würde man nicht sagen, dass es ein Tanzstück ist oder eine Form des Objekttheaters. Wie kamst Du auf die Idee?

EMK: Mein Mann ist ein leidenschaftlicher Angler und ich beobachte sehr gerne. Das Angeln und auch der Angelkasten, die Werkzeuge dafür, haben etwas Faszinierendes. Auch die Proben zu Pulling Strings hatten irgendwie mit Angeln zu tun. Man nimmt sich Zeit, wirft eine Schnur aus, - und dann wartet man gebannt darauf, dass sich etwas tut, und vor allem auch, welche Art Bewegung dabei herauskommt. Das ist nämlich ganz und gar nicht immer berechenbar.

Was von allen Beteiligten große Wachheit in jedem Augenblick erfordert ...

EMK: Tatsächlich interessiert mich schon länger, den Vorgang der Aufmerksamkeit zu untersuchen. Ich halte es für wichtig, einer Sache oder einen Gegenstand die volle Aufmerksamkeit schenken zu können. Und das meint mehr als Konzentration. In dieser intensiven Beobachtung entsteht eine andere Art der Wahrnehmung. Eine Wahrnehmung vielleicht, die nicht ständig mit Bedeutung aufgeladen ist. Genauso hat das Zuschauen im Theater für mich viel mit Beobachtung und Aufmerksamkeit zu tun. Und im Falle von Pulling Strings auch mit der Hoffnung, dass sich im Laufe der Performance auch die Wahrnehmung der Zuschauer steigern lässt. Dass die Zuschauer Lust bekommen, immer genauer zu schauen, immer aufmerksamer, immer wacher zu werden.

Dazu kommt bei mir die Lust am Experiment und am Scheitern. Die spannendsten Momente entstehen dann, wenn sich die Fäden verheddern, die Dinge sich anders verhalten als geplant und die Akteure an jedem Abend und in jeder Probe neu reagieren müssen.

Es war berührend zu sehen, wie die Akteure auf der Bühne durch ihre sachliche und konzentrierte Art versuchen, sozusagen ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Als Zuschauer, aber auch bei der Probe ertappte man sich dabei, in ein permanentes Spiel von Vorstellung und Wahrnehmung, von Entdecken und Erkennen verwickelt zu sein.

EMK: Mich reizt es, solche Vorgänge bei Zuschauern und den Akteuren gleichermassen zu evozieren, gemeinsam die Probe auf etwas zu machen: Was passiert wenn?, zu fragen oder: Bewegungen zu produzieren, die wiederum Rückwirkungen auf deren Auslöser haben. Der Schwebezustand, der aus diesen Wechselwirkungen entsteht, ist einerseits eine sehr technische und funktionale Angelegenheit, hat andererseits aber auch eine metaphorische Ebene. Wenn die Dinge an Schnüren gezogen oder bewegt werden, stehen sie in einem neuen Kontext, der sie nicht nur mit Bedeutungen auflädt, die sie sonst nicht hätten, sondern wir werden uns der Wahrnehmung selbst bewusst.

Würdest Du PULLING STRINGS trotz dieses experimentellen Charakters, der sich keinem Format zuordnen lässt, in einer bestimmten Tradition verorten?

EMK: Von all meinen Arbeiten würde ich PULLING STRINGS vielleicht am ehesten als eine Choreographie bezeichnen (lacht). Es geht um Tanz und Bewegung. Wir sind uns dessen in jedem Moment bewusst. Und das in allen drei performativen Varianten, für die diese Arbeit konzipiert wurde: als Videoversion, als Installation und als Theaterperformance spielt Pulling Strings auch immer mit den Möglichkeiten der Choreografie. Zudem ist es eine „site-specific“- Arbeit. Wir setzen uns an jedem neuen Ort mit dem konkreten, physischen Raum auseinander und nutzen auch nur die Gegenstände, die wir dort bzw. in dem entsprechenden Theater vorfinden. In der Videoversion setzen wir uns dann mehr mit dem häuslichen Alltag auseinander: der Küche, dem Nähzeug, mit Tischen und Gläsern. Wir schaffen Bewegungsmuster, also im strengsten Sinne Choreografien. Bei Flack Newtech in Bremerhaven und in Khartum/ Afrika sind Installationen geplant, die sich mit den jeweiligen räumlichen Gegebenheiten auseinandersetzen. Selbst bei Gastspieleinladungen in Theatern werden wir jeweils neu an die Dinge herangehen. Alle drei Versionen von Pulling Strings leben entsprechend nicht nur von unseren choreografischen Erfindungen, sondern auch von unserem Entdeckergeist und unserer Experimentierlust. Die Performance wird dann erst durch die Imagination der Zuschauer zu einer Vorstellung. Es ist die Arbeit an einer gemeinsamen Vorstellung im wortwörtlichen Sinne, könnte man sagen. Bei jeder Performance machen wir dabei neue Entdeckungen und bewegen uns zusammen mit den Dingen in neue Kontexte, Bedeutungen und Sinnzusammenhänge hinein.

Choreografisch wird es zudem über die Musik. Gegen die Alltäglichkeit der Gegenstände setzen wir klassische Ballettmusik, wie. z.B. Le Sacre du Printemps von Strawinsky, Romeo und Julia von Prokovief sowie Filmmusik, zum Beispiel aus Vertigo. Die Musik erzeugt sofort eine eigene, zusätzliche Bedeutungsebene und bringt Assoziationen und Projektionen in Bezug auf die Gegenstände und Vorgänge in Gang. Das Besondere daran bei Pulling Strings ist, dass Gegenstände mit Bedeutung aufgeladen werden, die sonst nur dienende Funktion haben. Das Handwerkszeug selbst, mit dem sonst Performance- oder Theatervorstellungen hergestellt werden, kommt zu seinem Recht, könnte man sagen, - es wird der eigenen Betrachtung wert.

PULLING STRINGS zeigt aber auch eine gewisse Gleichwertigkeit von Mensch und Objekt hinsichtlich von Bewegungen auf. Kannst Du zu diesem nicht-hierarchischen Verhältnis von menschlichen Darstellern und Dingen etwas sagen?

EMK: Dinge haben ihre eigene Präsenz, eigene Bewegungsoptionen. Und sie definieren den Raum, machen ihn sichtbar und damit konkret erfahrbar. Dinge lenken den Blick. Die Blicke der Bewegung erzeugen dann permanent räumliche Verbindungen und ziehen unsichtbare Linien, Diagonalen und Geraden durch den Raum. In Pulling Strings machen die Schnüre diese unsichtbare Raumgeometrie auch sichtbar. Im Alltag dagegen verbinden wir die Bewegungsräume von Objekten mit einer gewissen Logik und Funktionalität. Die Sachen stehen an ihren Plätzen und werden benutzt. So geschieht das auch den alltäglichen Dingen in einem Bühnenraum. Mit unserem Projekt greifen wir also in den Bühnenalltag der Dinge ein. Wir häufen keine Requisiten auf der Bühne an. Die sinnlose Anhäufung von Dingen interessiert mich nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir entwenden die Dinge der Bühne, setzen sie anders als gewohnt und vor allem nicht mehr funktional ein. Die Bühnendinge werden zu Mitspielern und damit selbst zu Akteuren. Mensch und Dinge teilen sich den Bewegungsraum. Entsprechend nehmen wir dann auch den Klang und die Geräusche der Dinge beim Auf- und Abbau dieses szenografischen Settings ernst. Die Einspielung der Ballettmusik erzeugt schliesslich eine ikonographischen Welt, der uns in kollektive Assoziationsräume hineinführt.



Newsletter anmelden hier