Wenn der Alltag zum Schlachtfeld wird
02.03.2025
In „Death Is Certain“ spielt Choreografin Eva Meyer-Keller mit Früchten Gewaltszenennach. Erstmals war die unter die Haut gehende Performance in Stuttgart zu sehen, imTheater Rampe.
Petra Mostbacher-Dix
Knackig geformt, rot, makellos. Zum Anbeißen schön liegen die 36 Erdbeeren auf demlangen Tisch im Atelier des Theater Rampe. Als Bataillon in Reih’und Glied angerichtetneben Küchenutensilien, allerlei Ingredienzien wie Zuckerwürfel, Essig und Stroh-Rumsowie präzise aufgestellte Werkzeuge, die dem Einsatz harren. Was die Dame, die nuntatkräftig herein schreitet, wohl Leckeres daraus zaubern wird? Erst schützt sie sich selbst.Über ihr schwarzes Blusenkleid bindet sie perfekt eine Schürze – so blütenweiß wie diePapierdecke auf einem zweiten großen Tisch in der Raummitte. Doch bald wird esschmutzig, der so sicher anmutende Alltag zum Schlachtfeld. Bald werden sich blutroteFlecken und Schlieren abzeichnen: Spuren des Massakers der Scheinfrüchtchen.
Der sichere Tod hat viele perfide Gesichter
„Death Is Certain“ heißt die Performance von Eva Meyer-Keller, Choreografin aus Berlin, diein ihrem Werk Schnittstellen von Wissenschaft, Verfahrensmodellen, bildender unddarstellender Kunst auslotet. Und der sichere Tod hat viele perfide Gesichter.
03.03.25, 14:25 Performance im Theater Rampe: Wenn der Alltag zum Schlachtfeld wird - Kultur
Die Performerin, streng einer Rezeptliste folgend, lässt zunächst eine Erdbeere mitKlebeband am Tischrand ins Leere stürzen. Eine andere wird im Wasserglas versenkt, eineweitere mit offenen Kabelenden zischend unter Strom gesetzt. Zum Einsatz kommen auchBügeleisen und Teesieb, die darin klemmende Erdbeere kommt an den Wandhaken. Die immit Frischhaltefolie abgedeckten Glas wiederum stirbt an Zigarettenrauch – per Strohhalmhineingepustet. Dann wird gevierteilt mit Haarklammern, an die Wand genagelt,angebohrt, Gift gespritzt, auf einem Scheiterhaufen aus Streichhölzern verbrannt, in Gipsversenkt, mit Goldlack besprüht, geböllert, abgestürzt im Spielzeugauto und amLuftballon. Auf letzteren wirft die Künstlerin Dartpfeile. Und auf die Wunden jenerErdbeere, deren Haut sie abfeilte, streut sie Salz.
In der eigenen Haut fühlt man sich da längst unwohl, mit jedem Mini-Szenario mehr. Wasscheinbar harmlos begann, wird ernst: Die Kochshow-Kulisse verwandelt sich zur Folter-und Hinrichtungskammer, die Früchte zu Symbolen menschlicher Verletzlichkeit, Leid undVergänglichkeit. Das auf viele Arten, die Betrachtenden haben eigene Assoziationen, die siedarauf projizieren – je nach Erfahrungen und Erlebnissen.
Künstlerischer Aufruf zum Hinschauen, Reflektieren
Schon an über 200 Orten auf sechs Kontinenten zeigte die gebürtige Baden-Württembergerin ihre Performance, nun tut sie das erstmals in Stuttgart. Ihr Stück mutetnicht nur in dieser krisengeschüttelten Zeit, den täglichen Nachrichten, den asozialenInhalten der sozialen Medien höchst brisant an. Es ist immer aktuell. Eva Meyer-Keller will,dass die Menschen hinschauen, über Verantwortung und Gewalt, die sich durch dieGeschichte zieht, reflektieren. Das hat sie erreicht: „Death Is Certain“ ist ein Muss.