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Performances in den Sophiensälen - Eva Meyer-Keller knöpft sich Kirschen und Äpfel vor | Berliner Zeitung 2018

von Doris Meierhenrich

Die Performance könnte hier eigentlich schon anfangen: Das Studio von Eva Meyer-Keller ist der lichtweiß getünchte Erdgeschossraum eines Pankower Hinterhauses, in dem ein Ölofen an der einen Wand, vollgestopfte Regale mit Küchenecke an der anderen und zwei einsame Seile an der dritten hängen.

Wer die Arbeiten der 45-Jährigen kennt, wird bei diesen Seilen sofort zucken. Blitzschnell werden Anflüge von Foltermethoden durch den Kopf schießen, auch wenn sich die Seile bald nur als Yoga-Hilfen enttarnen. Die Bilder aber sind da und der Wirkkreis der schaurig schönen Werkstatt weitet sich ins Unbegrenzte.

Folterwerkstatt und Küchenlabor

Und schon sind wir mittendrin in jenem flirrenden, hoch aufgeladenen, schwarzhumorigen, doch immer handfest bleibenden Spiel, das Eva Meyer-Keller seit gut zwanzig Jahren betreibt zwischen simplen Dingen und den irrlichternden Bedeutungsringen drum herum. Sie knüpft Räume mit Fäden auf und nimmt Gegenstände als Charaktere. Ihre Lieblingsutensilien sind Äpfel und Kirschen, alles, worin viel Symbolisches und Nützliches zusammenfließt.

Und während sie das bearbeitet, verwandelt sich ihre Bühne von selbst in ein sozio-mikroskopisches Küchen-Labor. Schon während ihres Tanz-Studiums in Amsterdam Mitte der 90er Jahre begann die passionierte Fotografin und Zeichnerin aus einer südwestdeutschen Kleinstadt mit derlei hybriden Performances, deren erste Voraussetzung ist, keine Grenzen zu kennen zwischen bildender und darstellender Kunst.

Kirsche unterm Bügeleisen

Der Durchbruch kam 2002, als sie in 40 Performanceminuten mit stoischer Ruhe und Plangenauigkeit ungefähr 40 auf einen Tisch gereihte Kirschen, jede für sich, mit einem eigenen Werkzeug zu Tode marterte. Was heißt „martern“? Tatsächlich zelebrierte sie nicht mehr als ein Alphabet häuslich-kindlicher Frucht-Zerlegung: spickt eine Kirsche mit Stecknadeln, legt eine andere unter ein aufheizendes Bügeleisen, verschließt die nächste in ein Teeei und hängt es am Türrahmen auf.

Das Publikum versteht

„Death is Certain“ wurde zu Meyer-Kellers Kern-Performance, mit der sie bis heute durch die Welt tourt, gerade kommt sie vom Fadjr Festival in Teheran. Die Größe des Festivals sowie die Offenheit der Menschen dort begeistern sie noch jetzt. Natürlich interessierte sich auch die Zensur für ihre Kirschen, die in Teheran Erdbeeren waren, doch irgendwie konnte man nichts aussetzen an der „häuslichen Ästhetik“, wie Meyer-Keller selbst ihre spezielle physisch-metaphysische Verschiebungstechnik nennt. Der Abstand zwischen einem Bügeleisen und realer Polizeitechnik war offenbar groß genug. Den betroffenen Ernst ihres Publikums dagegen spürte sie deutlich.

Was ist Realität? Realität ist für sich genommen flach, sagt Eva Meyer-Keller in ihrer Pankower Werkstatt. Auf dem Boden dort ziehen schon wieder ganz andere Lebensmittelschachteln einen vielsagend exakten Kreis. Gerade probiert sie letzte Änderungen an der neusten Performance „Some Significance“, die ab Donnerstag in den Sophiensälen läuft. Das hinter dem Sichtbaren ist das, was Realität konstruiert, sagt sie. Und das ist entgegen unseren festen Annahmen ein windiges Gemisch aus Wissenschaft und Dichtung, davon handelt dieser Abend. Tatsächlich basiert unsere Realität ja auf nichts „Realem“, lacht sie.

Kinder bauen Katastrophen

Was ist ein Atom? Wer hat es je gesehen? Und doch kennen es alle als das berühmte Kirschen-Modell: Kern, Elektronen-Hülle. Auch das Bild ist pure Fiktion und Meyer-Keller experimentiert und kocht dieses irreal-reale Weltwissen verschmitzt nach − mit unverträglichen Zutaten.

Tatsächlich ließ sie 2011 schon einmal Katastrophen nachkochen von echten Köchen, vier Jahre zuvor sollten Kinder sie nachbauen: „Cooking−“ und „Building Catastrophes“ hieß das. Beide Male steuerten Kameras die medialen Bedeutungsverschiebungen bei und gaben Ahnungen davon, wie gezielt manipulativ wir Katastrophen aufbauschen oder ausblenden.

Gamifizierung des Alltags

Meyer-Keller selbst nennt ihr Werkstatt-Theater eine Art „Voodoo“, mit dem sie das Komplexe, Große, Mächtige zurück in die Greifbarkeit des Kleinen holt, damit auch entmachtet. Spektakulär im Unspektakulären, könnte man sagen, und damit das Gegenteil von dem, was Interrobang, die Experten innovativen Partizipationstheaters, dieser Tage parallel in den Sophiensälen veranstalten. Ihre Shopping-Game-Show „Brot und Spiele“ parodiert das, was man die Gamifizierung des Alltags nennt.

Dafür werfen sie dem Publikum zwei halbnackte Kandidaten vor, die sich mit Haut, Haar und persönlichen Geschichten mutig unserem Bewertungszwang aussetzen. Hauptakteure also werden wir, die immer ironisch-sadistischer „votenden“ Zuschauer. An die Realgrausamkeit eines RTL-Abends aber klopft das eher höflich an.



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