Gespräch mit Sybille Müller (S) und Eva Meyer-Keller (E)
Von Pirkko Husemann (P) anlässlich der Premiere von SOUNDS LIKE CATASTROPHES / KATASTROPHENKOMPOSITIONEN im August 2014
P: Was war die Initialzündung für die erste Auflage des Projekts, das ihr ja schon 2006 begonnen habt? Und wie hat sich das Projekt von der Inszenierung „Bauen nach Katastrophen“ über den Film „Von Menschen gemacht“ und das Stück „Cooking Catastrophes“ bis heute verändert?
E: Ausgangspunkt war die Winterakademie in der Parkaue zum Thema „normal ist anders“. Ich wurde gefragt, ob ich in diesem Rahmen einen Workshop für Kinder anbieten würde und habe mir – ausgehend von „Death is Certain“ – überlegt, das „Andere“, also das Außergewöhnliche, das Extraordinäre, mit normalen Dingen darzustellen. Also z.B. Katastrophen mit Haushaltsgegenständen, die wir jeden Tag benutzen.
P: Hattest du damals schon mal mit Kinder gearbeitet?
E: Nein, deshalb kam dann ja Sybille dazu.
S: Für mich war insbesondere der Gegensatz von Katastrophen und Kindern als Ausgangspunkt interessant. Das macht man eigentlich nicht. Aber wie kann man es trotzdem tun? Dieses Tabu produziert ja eine Spannung: fröhliche, spielende, Kinder, die voller Energie stecken, setzen sich mit der Zerstörung ihrer eigenen (schwarzen) Zukunft auseinander. Das will man nicht zusammen sehen, ist aber eine Realität. Genauso wie die Verschwendung von Lebensmitteln, die wir mit den Kindern veranstalten. Die bleibt einem im Hals stecken, aber die Verschwendung von Ressourcen ist ja eben genauso eine Realität.
E: Ja, denn zwischen Katastrophen und Kindern oder Katastrophen und Alltäglichkeit tut sich ein Feld auf, in dem Sachen passieren können. Interessiert hat mich auch die Unangemessenheit der Mittel angesichts der Katastrophen. Also Kartoffelbrei, mit dem ein Erdrutsch dargestellt wird. Es war uns wichtig, Erde nicht mit Erde und Steine nicht mit Steinen darzustellen, sondern das Material immer durch etwas anderes zu übersetzen, so dass die Phantasie angeregt wird.
P: Realisiert habt ihr den Workshop dann letzten Endes aber nicht in Berlin, sondern in Parma, wo ihr am Ende auch eine Aufführung hattet?
E: Ja, und nicht mit einer Gruppe von Kindern, sondern nur mit zwei zehnjährigen Jungs. Die hatten noch nie einen Mixer benutzt und wussten auch nicht wie man einen Streichholz anzündet. Damals gaben wir eine Vorstellung für 45 Zuschauer.
Von da an haben wir das Projekt dann Schritt für Schritt immer weiter entwickelt. Es war aber von Anfang an als Performance von Kindern für ein erwachsenes Publikum gedacht.
S: Das wurde dann etwas später noch deutlicher, als wir begannen, Text zu verwenden. Da hatten wir mehr und mehr den Eindruck, dass es in Stück für Erwachsene ist. Denn es ging uns zunehmend um die Kombination von sinnlicher Erfahrung der Katastrophe und deren Verbalisierung, um die Kombination von ästhetischen Bildern und dem schrecklichen Wissen.
P: Wie kam es dann dazu, dass sich aus dem Workshop eine ganze Reihe eigenständiger Projekte (Workshops, Performances, Film) entwickelt hat? Was macht das Thema oder eure Methode so produktiv? Und hat es Methode, dass ihr euch mit den Bildern, dem Geschmack und dem Klang von Katastrophen beschäftigt habt?
S: Ich glaube, es ist einfach noch nicht abgearbeitet. Wir finden immer wieder etwas, das uns fasziniert.
E: Die Sinne gehörten von Anfang an immer zusammen. So bildeten die „Katastrophenkompositionen“ etwa schon eine Szene in „Bauen nach Katastrophen“. Dass wir uns jetzt ganz aufs Hören konzentrieren, hat eher praktische Gründe. Denn der ursprüngliche Workshop mit den Video-Modellen dauert einfach zweieinhalb Wochen, die wir jetzt nicht zur Verfügung hatten.
S: Es ging uns eigentlich von Anfang an um drei Ebenen: die Visualisierung von Katastrophen, die Vertonung von Katastrophen und die Gedanken über Katastrophen. E: Der Film ist entstanden, weil wir eine gute Dokumentation haben wollten und es nicht so viele Leute als Aufführung gesehen hatten damals.
P: Und wie kam es zum Kochen?
E: Das war eine Anfrage aus Schweden von Stella D’Ailly. sie macht unter dem Label „Mossutställningar“ (dt.: Moosausstellungen) Kunstprojekte außerhalb des „white cube“ und organisiert eine Projektreihe in Restaurants, zu dessen zweiter Ausgabe sie mich einlud.
S: Gleichzeitig hatten wir uns schon vorher darüber Gedanken macht, dass wir das Essen, mit dem wir die Katastrophen darstellen, immer wegwerfen. Und wir hatten immer ganz viele Ideen mit Lebensmitteln, die wir aber mit den Kindern nicht umsetzen konnten, da es dafür ein Spezialwissen braucht: wie funktioniert ein Blätterteig?
E: In dem Zusammenhang sollte man auch noch erwähnen, dass wir uns intensiv mit der Frage der Verschwendung auseinandergesetzt haben. Mit Lebensmitteln zu spielen und sie dann wegzuwerfen, wird im Allgemeinen als Verschwendung betrachtet. Für uns ist das Essen aber eine sehr billige Requisite. Wir verbrauchen viel weniger Material als wenn wir ein aufwändiges Bühnenbild herstellen müssten. Dennoch wird unser Umgang mit Essen als Verschwendung betrachtet.
P: In den Ankündigungstexten zum Projekt heißt es, dass ihr „intuitive Katastrophenforschung“ macht. Was versteht ihr darunter? Und stehen Intuition (gefühlsmäßiges Vorgehen) und Forschung (systematisches Vorgehen) nicht eigentlich in einem Gegensatz?
S: Ich glaube der Begriff fiel mal in einem Vortrag von Hans Joachim Schellnhuber, dem Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Da ging es darum, dass sich die Künste mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen müssen, weil der „faktische Zeigefinger“ der Wissenschaft nicht funktioniert. Emotion und Intuition spielen da eine wichtige Rolle. Außerdem kann ja auch die Wissenschaft nicht eindeutig vorhersagen, was zukünftig passieren wird. Sie können auf der Basis ihrer Berechnungen nur Szenarien entwickeln.
E: Wir erlauben uns, Dinge zu tun, die nicht ganz richtig oder sogar falsch sind. Und so wurde ja auch das Penicillin entdeckt. Außerdem glaube ich, dass in einem ersten Impuls eine Intelligenz liegt, die oft unterschätzt wird, da man der Vernunft mehr zutraut. P: Was haltet ihr denn von dem Gedanken, dass die Kunst mit ihren Mitteln eine Sensibilisierung für Umweltfragen bewirken kann? Meint ihr, dass die TeilnehmerInnen und ZuschauerInnen aus euren Workshops oder Vorstellungen mit einem anderen Bewusstsein für das Thema raus gehen?
E: Naja, ich glaube es war der Philosoph Paul Virilio, der gesagt hat, dass jede Art von Beschäftigung mit solch einem Thema eine Wertigkeit hat.
P: Ich habe eher den Eindruck, dass die beteiligten SchülerInnen ganz froh darüber sind, nicht noch einmal mit Fakten traktiert zu werden wie in der Schule, sondern es als Befreiung empfinden, bei euch anders darüber nachdenken zu können. Sie wissen um die katastrophalen Folgen des Klimawandels, aber können sich im Workshop endlich mal von der eigenen Ohnmacht entledigen, sich der unabwendbaren Katastrophe ein Stück weit ermächtigen.
E: Ja, und der Umgang mit der Katastrophe ist bei uns langsamer als in Filmen, schlichter, ohne „special effects“. So kann jedes Kind je nach eigenem Wissen und Vermögen damit umgehen. Denn was die Kinder nicht wissen oder nicht fassen können, setzen sie nicht um. So ist es eine aktive und konstruktive Art, mit der Katastrophe umzugehen.
S: Ja, sie nähern sich dem Thema auf sinnliche Art und Weise und vor allem über den Umweg der Materialien. Die Kinder lernen so, sich die Phänomene anzueignen, selbst wenn sie sie vielleicht nicht ganz verstehen oder sich darüber lustig machen.
P: Mit Blick auf das aktuelle Projekt „Katastrophenkompositionen“ mit Kindern und Jugendlichen: Die Kinder bringen ja eine Menge an Wissen und Kompetenzen mit, sowohl über Katastrophen als auch im Bereich Theater und Medien. Und dieses Wissen bildet die Basis eurer gemeinsamen Recherche am Klang der Katastrophen. Wie versucht ihr, dieses teils explizite, teils implizite Wissen zum Vorschein bzw. zur Sprache zu bringen?
E: Bei der Workshop-Version zu „Bauen nach Katastrophen“ gibt es eine klare Aufteilung: das Bild als Vorlage, das sie mit den Materialien nachbauen. Und den Videowagen, mit dem sie die gebaute Katastrophe wieder mediatisieren, indem sie sie auf der Bühne live filmen und diese Bilder dann ebenfalls live auf einem Monitor abspielen.
S: Wir haben da ganz viel über die Bildproduktion gesprochen.
E: Und über die Tatsache, dass wir Katastrophen hierzulande kaum erleben, sie aber ständig in den Nachrichten sehen.
S: In Südafrika war das anders. Da ging es ausschließlich darum, welche Katastrophen die Kinder selbst erlebt haben. Außerdem gab es dort keinen Exzess mit den Materialien. Sie haben die Bohnen beispielsweise abgezählt.
E: Gleichzeitig haben die Kinder in Südafrika selbst viele Spiele vorgeschlagen, die wir dann auch in die folgenden Workshops eingebaut haben. Wie etwa eine gesungene Version von „Feuer, Wasser, Sturm“, mit dem wir jetzt die Vorstellung beginnen.
P: Habt ihr denn mit den Kindern je über ihre aktive oder passive Theatererfahrung gesprochen?
E: Nein, ganz bewusst nicht.
S: Sie sollen performen, indem sie sich auf die Aufgaben konzentrieren. Aber sie sollen so wenig wie möglich schauspielern und so viel wie möglich Kind bleiben.
P: Wurde diese Performance-Haltung denn von Eltern oder Veranstaltern jemals kommentiert?
E: Die Eltern haben sich diesbezüglich nicht bei uns gemeldet. Aber der Leiter einer Theater-AG sagte fast bewundernd: „Wie habt ihr denn das hinbekommen, dass die Kinder so wie wirkliche Kinder auf der Bühne sind?“. Im Gegensatz dazu hat ein Veranstalter mal moniert, dass das Aufführungsformat noch nicht sehr ausgereift sei.
S: Es ist ja ein Format, bei dem das Experimentieren im Zentrum steht. Wenn das nicht berücksichtigt wird, und alles auf eine große Show hin angelegt ist, dann geht es nicht auf.
P: Ich kann mich daran erinnern, dass ich damals ganz unvorbereitet in die Premiere von „Bauen nach Katastrophen“ hinein gegangen bin und anschließend spontan dachte, dass da dramaturgisch noch einiges zu tun wäre. Etwas später merkte ich, dass gerade dieses Fehlerhafte, Spröde, Flache, Offene, die Kicherer und Stolperer ihren eigenen Reiz haben, weil sie die Idee der gelungenen Illusion und einer geschlossenen Dramaturgie gerade unterlaufen. Mir wurde also klar, dass hier mein professioneller Anspruch an die Struktur einer Aufführung und der Glaube an die Macht der Bilder in Frage gestellt werden. Ich war dauernd enttäuscht, dass ich die Bilder nicht wieder erkennen konnte, dass eine Katastrophe eben nur wie gerührtes Wasser aussah usw. Aber auch das ist ja im Prinzip ganz clever, da ihr euch ja eben nicht zuletzt auch mit der Mediatisierung von Katastrophen und der Evidenz von Bildern befasst habt.
S: Diese Macken werden ja zum Beispiel auch in dem Film thematisiert und zusätzlich von den Kindern kommentiert, indem sie die Materialität aufdecken: „Das ist mein Butterberg und Palmolive“ oder so. Andererseits hat das Scheitern der Visualisierung aber letztlich auch zu „Cooking Catastrophes“ geführt, wo es den Köchen eben gelingt, die Illusion herzustellen.
P: Die Spannung zwischen Ordnung und Chaos bzw. Regeln und Grenzüberschreitung scheint mir im Probenprozess eine wichtige Rolle zu spielen. Ihr gebt bspw. von Anfang an Kategorien (Katastrophen, Material) und Arbeitsweise (Warm-up, Diskussion, Recherche, Aufführung) vor, gleichzeitig dürfen die Teilnehmer tun, was sonst nicht erlaubt ist (z.B. mit Essen spielen oder Witze über Katastrophen machen). Hatte das von Anfang Methode oder ist das mehr aus der Erfahrung heraus entstanden?
S: Anfangs waren wir zu streng, und mit der Zeit haben wir uns immer mehr getraut, in Richtung Chaos zu gehen. Für mich ist dabei entscheidend, dass sich die Kinder an etwas heran tasten können, das sie nicht kennen, sich dabei aber immer sicher fühlen und so auch den Mut entwickeln, sich selbst einzubringen, sich als Autoren einer „Katastrophenkomposition“ zu verstehen.
P: Ihr ermächtigt sie also in einem Gebiet aktiv zu werden, in dem sie kaum gelebte Erfahrung mitbringen und auch keine Experten sind. Apropos, sich selbst einbringen. Was ich auch auffällig fand, ist die Tatsache, dass sehr schnell ein gutes Teamwork entstanden ist. Anfangs ging es noch viel mehr darum, wer was weiß oder richtig und falsch macht. Aber später, als sie dann alle gemeinsam an den Kompositionen der anderen arbeiteten und versuchten, die Reihenfolge im Kopf zu behalten, spielte es kaum noch eine Rolle, von wem was kommt. Da ging es dann um das Gelingen des Klangs.
S: Ja, der Workshop ist gezielt ein bisschen zu komplex angelegt und die Kinder sind oft knapp vor der Überforderung. Genau das hat aber eine Kraft, die die Gruppe und die Kompositionen zusammenbringt.
P: Was habt ihr durch die Arbeit am Thema bzw. den Umgang mit Kindern dazugelernt?
E: Ich habe von Sybille gelernt, wie man eine sehr heterogenen Gruppe etabliert und aktiviert. Denn früher habe ich nur mit Kollegen gearbeitet, die ähnlich funktionieren wie ich.
S: Ich fand es spannend zu beobachten, wie das Ping Pong zwischen uns abgelaufen ist, von den ersten Experimenten bis hin zum gemeinsamen Verfassen von Artikeln. Denn wir sind sehr unterschiedlich, so dass wir uns gut ergänzen, was sicher auch dazu geführt hat, dass das Projekt so viele Wendungen bekommen hat. Es ist uns über die Jahre gelungen, die Differenz in unserer Zusammenarbeit beizubehalten, was auch für die Arbeit mit den anderen in der Gruppe produktiv war.