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Eva Meyer-Keller: Building after Catastrophes / Handmade | Johannes Ebert, Andrea Zell (Hg.): Klima Kunst Kultur. Der Klimawandel in Kunst und Kulturwissenschaften. Göttingen: Steidl Verlag, S. 59-61. | 2014

von Vera Tollmann

Zunächst einmal ist ein Hurrikan oder ein Schneesturm ein natürliches Ereignis, eine sogenannte "Naturkatastrophe", wobei das eigentlich Katastrophische sich nicht für die Natur, sondern für die betroffenen Menschen abspielt.

Die sich mehrenden Dürren, Überschwemmungel und Stürme ähneln in ihrer Wirkung natürlichen Ereignissen, sind allerdings Effekte des anthropogenen Klimawandels. Bereits 1972 warnte der Club of Rome vor den Folgen bestimmter ökonomischer und sozialer Entwicklungen, die weiterhin dem Wachstumsdiktat verpflichtet sind. In ihrer Häufung und Austauschbarkeit sind die gegenwiirtigen Katastrophen einerseits alarmierend, andererseits fiihrt die mediale Berichterstattung zur Abstumpfung bei den Adressaten. Denn diese Inszenierungen kommen nicht ohne Zuspitzung durch die Medien aus und werden daher den schleichenden Prozessen, die die eigentliche ökologische Katastrophe sind, nicht gerecht. Eine lang nachhallende, historisch bedeutsame Katastrophe war das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, welches das Europa der Aufklärung auch im übertragenen Sinn erschütterte. Damals war es eines der Nachrichtenereignisse der Zeit, regte eine umfangreiche Bildproduktion an und sorgte fiir Diskussionen iiber das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur.

Zusammen mit Kindern hat Eva Meyer-Keller in einem Gemeinschaftsprojekt mit Sybille Müller mit der Performance Building after Catasfrophes Katastrophen in Modellen "nachgebaut" und auf Video dokumentiert. Erst in der Videoaufzeichnung wurde das Ereignis tatsachlich als Katastrophe sichtbar - eine Andeutung von Medienkritik, mit der die Künstlerin auf den Einfluss der Medien verweist. Die Natur selbst kennt keine Katastrophe. Erst die Medien machen das Ereignis zu einer. Mit ihrer "Hands-on-Methode" praktiziert Meyer-Keller einen fast therapeutischen Ansatz, denn die an der Performance beteiligten Kinder arbeiten schon friihzeitig aktiv gegen das nach einem Übermaß medialer Katastrophenwarnungen eintretende postkatastrophische Bewusstsein an, gegen das Phlegma der katastrophenüberdrüssigen Gesellschaft.

In dem Video Handmade stellt Eva Meyer-Keller verschiedene Szenarien von Naturkatastrophen jeweils modellhaft nach - sie nennt das "choreographiertes Basteln".

Dabei werden 24-Stunden-Einheiten auf drei Minuten komprimiert sowie Tag- und Nachtzeiten durch entsprechende Beleuchtung simuliert. Hurrikan, Schneekatastrophe und Schmelzen der Gletscherwirken zunächst in ihrer beispielhaften Ortlosigkeit harmlos und niedlich, aber nut so lange, bis klar wird, dass exakt diese Ereignisse bereits verstärkt die Gegenwart prägen: Ein Hurrikan fegte über New Orleans, Zentralchina erlebte im Winter 2008 eine Schneekatastrophe, und die Arktis schmilzt und schmilzt.

Um die Ausnahmezustände nachvollziehbar und zu einem kompakten Ereignis zu machen, verwendet Meyer-Keller einfachste Materialien wie Styropor, Salz, Folien und andere Haushaltsutensilien. Bühne für das aufgeführte Schauspiel ist ein leeres Aquarium - die Katastrophe in vitro -, das sich auf einer rotierenden Scheibe dreht. Im Glas des Aquariums spiegeln sich Stativ und Kamera sowie Meyer-Kellers Hände - es ist also gleichzeitig das Making-of im Bild zu sehen. Das Making-of wird zum Teil der Bildkonstruktion und des "Naturschauspiels". so erscheint der Mensch hier nicht als Opfer, sondern als Verursacher - ein distanzierter Verursacher, der sich nicht als Teil der Naturversteht und sie von auBerhalb zu lenken meint.



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