It is live and alive. Und trotzdem künstlich.
Eva Meyer-Keller über (das Erzählen) kontaminierende(r) Geschichten
Etwas ist der Fall. Ein Ding ist so und so. Ich arbeite mit Performance, mit Objekten, Körpern und Ideen. Ich baue Modelle, um in und mit ihnen zu denken. Ich stelle Dinge her, um Möglichkeiten zu schaffen, in und mit denen sich Assoziationen herstellen lassen. Ich enacte und re-enacte Modelle. Man versteht etwas nur dann wirklich, wenn man es auch bauen kann. Dabei gleichzeitig das Making-of enthüllen. Ich bestehe auf dem Machen als einer Art des Denkens.
Wir nehmen uns ganz bewusst gesondert Zeit, um bei Dingen zu bleiben. Wir beharren darauf, uns ein Feld zu schaffen, in dem wir nach unseren Bedürfnissen arbeiten und sein können. Ein Feld, wo wir uns dem nähern können, was sich unzugänglich anfühlt: wissenschaftliche Erkenntnisse und die Bilder, die Wissenschaftler*innen produzieren. Ein Feld, wo wir unseren Mangel an formalem Fachwissen begrüßen können. The proof of the pudding lies in the eating.*
Lernen durch das Experimentieren mit Dingen, durch das Herummachen mit Kram. Ein Raum, in dem wir nicht quantifizieren, validieren, rechtfertigen oder gar verstehen müssen. Denken durch Tun. Unsinn, in dem Wissen steckt. Diese Arbeitsumgebung ist unser Medium.
Die Rezeptur unseres Mediums ändert sich fortlaufend. Weil es von uns, für uns, mit uns gemacht wird. Wir sind empfänglich für Prozess und Umstände. Eure Zellen sterben unablässig. Objektivität ist eine Geschichte unter vielen. Wir erzählen andere Geschichten. Geschichten, die unsere Experimente durcheinanderbringen. Geschichten, die unser Feld verunreinigen. Unser Feld erzeugen. Das hat einen Wert. Obgleich wir die formale Schönheit Ihrer Überlegungen schätzen und die Verbesserungen, die sie in gewisser Hinsicht bieten mögen, so sind wir doch sehr skeptisch, was die wesentliche Realität Ihrer Vorschläge angeht.
In wissenschaftlichen Experimenten wird der Einfluss der Beobachtenden als Problem angesehen und so ist alles darauf ausgerichtet, ihn zu minimieren. Wir machen das Gegenteil, wir wollen, dass die Beobachtenden eine grundlegende, einflussreiche Wirkung haben. Ohne die Beobachtenden gibt es kein Theater. Can I have some? Fragten sie. Und George sagte: Yes. Die Aufmerksamkeit auf Dinge lenken, denen man sonst keine Beachtung schenkt. Schmutziger Spiegel. Sieht wie das Universum aus, wenn man ihn projiziert.
Das ist in der anderen Kiste. Wir spielen nicht nur mit verschiedenen Objektiven, Schärfeebenen und mit der Belichtung, sondern auch mit verschiedenen Arten von Licht, um dieses oder jenes hervorzuheben, um eine bestimmte Geschichte zu erzählen. Das ist genau das, was die wissenschaftliche Bildgebung tut. Ich erinnere mich an Ella, wie sie von Expansionsmikroskopie spricht: als würde man die Struktur eines Luftballons zeichnen und ihn aufblasen, so dass er viermal so groß wird. Wir sind uns vielleicht bewusst, dass wir etwas vor uns haben, ohne dass wir es benennen können. Auf diese Weise kann sie die Mikrotubuli ein wenig mehr voneinander getrennt betrachten. Es ist immer noch nicht genug, aber es lässt sich schon besser beobachten.
Ihre Zellen wachsen in der Petrischale und sie legt sie auf Tabletts mit einem Deckglas, einer Scheibe. Dann wartet sie, bis sich die Zellen festsetzen, etwa 50.000 Zellen in einer Schale, sie bedecken fast die ganze Fläche. Es ist sehr technisch, aber ich mag es. Im Lauf der Nacht heften sie sich an das Deckglas. Sie fixiert sie mit Chemikalien, um sicher zu gehen, dass sie festsitzen und tot sind, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Jetzt kann sie mit ihnen machen, was sie will. Das ist das Problem mit Fixierung, die Zelle ist tot.
Wir testen eine Idee, betrachten dann das, was wir tun, und was wir sehen und wahrnehmen, und unsere Reaktionen darauf beeinflussen, was wir als Nächstes tun werden. Ein Pilz ist etwas anders als eine Kuh. Und eine Kuh ist einem Menschen ein bisschen ähnlicher als ein Mensch einer Pflanze. Es geht darum, Dinge voneinander abprallen und, indem sie das tun, Bedeutungen ansammeln zu lassen. It is live and alive. Und trotzdem künstlich. Zersetzen. Binden. Befestigen. Verdichten. Wandern. Erweitern. Erneuern. Trennen. Moleküle machen, was sie verdammt nochmal wollen! Erfahrung ist das, was man bekommt, wenn man nicht bekommen hat, was man wollte. Experimente bestehen aus Körpern und Maschinen. Und Expert*innen sind Menschen, die alle auf einem sehr engen Gebiet machbaren Fehler gemacht haben. Letztlich ist ein Modell ein Fetisch, der auf Experimenten beruht. Wir versuchen, das Unbekannte mit etwas Bekanntem zu erklären. Und dabei: Wie können sich zwei Intensitäten überlagern? Skalierungen sind willkürlich. Gäbe es keinen Raum zwischen Atomen, könnte die gesamte menschliche Bevölkerung in einen Apfel passen.
what’s the matter?
you are matter to me
you matter to me
you are mattering to me so beautifully. You. You. You! …
In Mitsprache von Agata Siniarska (Performerin), Alexander Carmele (Physiker), Annegret Schalke (Performerin), Constanze Schellow (Dramaturgin), Ella De Gaulejac (Biologin), Isabelle Stengers (Philosophin), Ilya Noé (Künstlerin), Niels Bohr (Physiker), Rebecca Skloot (Autorin, Journalistin), Tamara Saphir (Performerin).
In conversation with Agata Siniarska (performer), Alexander Carmele (physicist), Annegret Schalke (performer), Constanze Schellow (dramaturge), Ella De Gaulejac (biologist), Isabelle Stengers (philosopher), Ilya Noé (artist), Niels Bohr (physicist), Rebecca Skloot (author, journalist), Tamara Saphir (performer).
* Englisches (unübersetzbares) Sprichwort, das in etwa bedeutet: Probieren geht über Studieren.