Christiane LötschKreatives Töten2008

Festivalzeitung #1, Festivalblog

Eva Meyer-Keller kennt keine Gnade. Ihre Performance "Death is certain" zeigt anhand von Kirschen, wozu Menschen fähig sind.

Ein karger Raum, zwei Tische mit strahlend weißen Tischdecken. Der vordere ist leer, der hintere dagegen mit ordentlich aufgereihten Haushaltsutensilien vollgestellt: Klebeband, Zahnseide, Alufolie, Strohhalme, verschiedene Sprays und 36 Kirschen, denen nichts Gutes bevorsteht; soviel verrät die klinische Atmosphäre. Klein und zierlich, mit locker hochgesteckten Haaren - so unschuldig und harmlos betritt Irina Müller den Raum.

Die halbstündige Performance “Death is certain”, erdacht von Eva Meyer-Keller, besteht darin, Kirschen auf alle erdenklichen Arten zu foltern und zu ermorden. Ihre Tatwaffen sind unspektakulär und in jeder Küche eines Einfamilienhauses zu finden. Nussknacker, Käsereibe, Fön oder Spielzeugauto werden im Lauf der Performance zu Mordwerkzeugen. Kirschen werden an einen Stein gebunden und in einem wassergefüllten Plastikbecher ertränkt, mit Voodoo-Nadeln dem Tode geweiht, gnadenlos zwischen Klotür und Wand zerquetscht, in Baugips versenkt, in einer Mischung aus Backpulver und Essig verätzt oder durch besagte Käsereibe zerfetzt. Und das sind nur die naheliegenden, unspektakulären Tötungsarten. Grausame Methoden aus dem Mittelalter werden aufgerufen, wenn Kirschen mit Haarklammern gevierteilt und auf einem Streichholz-Scheiterhaufen verbrannt werden, oder wenn das zarte Fruchtfleisch in einer aus Reißzwecken und Plastikbecher selbst gebastelten Eisernen Jungfrau brutal zerrissen wird. Nicht immer endet die Kirsche in einem Zustand totaler Zerstörung. Besonders perfide ist die langsame Folterung einer Kirsche, die zuerst akkurat mit einer Rasierklinge gehäutet und dann mit Salz bestreut wird. Wenn Kirschen schreien könnten...

Im Laufe der Performance sieht man den Tod nicht nur, man riecht und hört ihn auch. Der Geruch der Kirsche, die durch elektrische Stromschläge starb, bleibt einem lange in der Nase. Ein winziger Tischfeuerwerkskörper zerfetzt mit einem Knall eine Kirsche von innen. Danach wird es wieder still im Raum. Irina Müller ist keine wild gewordene Mörderin, die grundlos zuschlägt. Im Minutentakt werden 36 Kirschen nach einem vorgeschriebenen Protokoll ermordet. Hier wird der Tod ähnlich wie im Dritten Reich als mathematische Gleichung zelebriert. Tatsächlich stirbt eine Kirsche am Zigarettenrauch in einem abgedichteten Plastikbecher. Das immer gleich bleibende Tempo und die zielgerichteten Bewegungen evozieren die präzise Routine einer Henkerin. Fehlgriffe kann sie sich nicht leisten, jeder tödliche Handgriff muss sitzen. Ordnung und Sauberkeit sind wichtige Tugenden, wenn man korrekt töten will. Benutzte Utensilien werden säuberlich auf den hinteren Tisch zurückgestellt und die mit Kirschblut verschmierten Hände regelmäßig an ihrer Schürze abgewischt, die nach und nach der einer Fleischersfrau ähnelt. Ob man will oder nicht, man fühlt mit den Kirschen mit, denn sie sind die perfekten Opfer: Klein und rund, zartes Fruchtfleisch, das leicht?aufgerissen werden kann und roter Saft, der wie Blut sprudelt, wenn sie zerquetscht werden. Die Assoziationen mit Bildern von menschlicher Folter, Todesstrafe und Kriegsverbrechen sind offensichtlich. Gleichzeitig ertappt man sich dabei, weitere Tötungsarten zu überlegen und ausprobieren zu wollen.

Es ist die geheime menschliche Lust am perfiden Morden und Foltern, die durch die Performance bloßgestellt wird. In keinem anderen Bereich sind Menschen so kreativ und einfallsreich wie beim Töten anderer. Am Ende des Kirschen-Massensterbens sieht der vordere Tisch wie ein verlassenes Schlachtfeld aus, auf dem zuvor ein wahnsinniger Psycho-Killer seine Fantasien ausgelebt hat. Eva Meyer-Keller möchte man nicht im Dunkeln begegnen. Zumindest nicht als Obsthändler.